200 Jahre Kirchbaumeister C.W. Hase

Nachricht 01. August 2019

An diesem Baumeister kommt in Norddeutschland niemand vorbei.
Über 60 Kirchen hat er gebaut, dazu Bahnhöfe und Schlösser. Sein Markenzeichen: Der Backstein. Im Oktober 1818, also vor gut 200 Jahren, wurde er geboren. Sein Motto war: „Ein jeder baut nach seiner Nase, ich heiße Conrad Wilhelm Hase.“ Professor Dr. Thorsten Albrecht, Leiter des Kunstreferats der Landeskirche Hannovers, erläutert Hases Bedeutung.

 

Herr Professor Dr. Albrecht, wenn Sie Hase mit dem Konstrukteur einer Automarke vergleichen würden, was für Autos hätte er gebaut?

Professor Dr. Thorsten Albrecht: Oberklasse und robuste Dauerläufer. Seine „Luxuskarosse“ ist die Christuskirche von 1864 in Hannover, groß, prächtig, vom König finanziert. Sie wurde Maßstab für die ganze Landeskirche. Und dann hat er sozusagen auch die Golf-Klasse geprägt: Robuste, praktisch-funktionale Dorfkirchen. So gestaltet, dass der Pastor gut zu sehen ist und damals ohne Mikrofon zu verstehen war.

Was ist das Besondere an Hase-Kirchen?

Albrecht: Man erkennt sie eigentlich sofort. Neogotische Backsteinkirchen, unverputzt, oft auch mit glasierten Ziegeln. Selbst bei der Turmspitze setzte er auf Ziegelsteine, das war ungewöhnlich. Für Hase war wichtig, dass das Baumaterial zu sehen ist. Er  orientierte sich damit am Vorbild der norddeutschen Backsteingotik. Auch innen hat er auf Klarheit gesetzt: Eine Ausstattung aus Holz, ursprünglich nicht bemalt, die eine angenehme Stimmung in der Kirche schaffen sollte.

Hase hat in der Landeskirche rund 60 Kirchen gebaut. Gibt es Architekten, die mehr gebaut haben?

Albrecht: Nein. Sein Vorgänger, Ludwig Hellner, kommt ihm mit 47 Kirchen aber nahe. Hases Bedeutung geht aber über die reine Zahl der Bauwerke hinaus. Er war vor allem Hochschullehrer mit wohl über 3.500 Studenten, viele davon haben später in seinem Stil gebaut. Hase war außerdem einer der Baumeister, die am Eisenacher Regulativ  mitgearbeitet haben. 1861 haben dort Baumeister überlegt, wie einheitlich evangelische Kirchen künftig aussehen sollen. Sie haben sich für Neugotik als Baustil entschieden, also Hases Stil. Außerdem wurde zum Beispiel festgelegt, dass der Altarraum immer einige Stufen höher sein sollte als das Kirchenschiff, damit er gut zu sehen ist. Die Kanzel soll immer am Übergang vom Chor zum Hauptschiff stehen.

Mit Verlaub, solche Vereinheitlichungen klingen langweilig.

Albrecht: Sie hatten ihren Sinn. Damals gab es auf den Dörfern und in den Städten ein großes Bevölkerungswachstum, es wurden viele neue Kirchen gebraucht. Außerdem hatten die Richtlinien eine politische Dimension. Deutschland war bis zur  Reichsgründung 1871 in viele Staaten zersplittert. Die Kirchen sollten unter anderem Ausdruck eines nationalen Baustils sein. Diese Bestrebungen gab es seit dem Revolutionsjahr 1848.

Lässt sich von Hase auch fürs Bauen von Kirchen heute lernen?

Albrecht: Oh ja. Hase hat mit dem natürlichen Baumaterial gearbeitet, dass er in der Gegend vorgefunden hat. Das könnte man heute nachhaltig nennen, und das kann durchaus Vorbild sein.

Das war viel Lob für das Geburtstagskind. Haben seine Bauten vielleicht auch Schwächen?

Albrecht: Hase hat vor dem Studium eine Maurerlehre gemacht. Das ist eine gute Voraussetzung für einen Architekten, er weiß dann nämlich, was seine Ideen praktisch auf der Baustelle bedeuten. Die Kollegen vom Amt für Bau- und Kunstpflege klagen selten über seine Kirchen – manchmal gibt es aber Probleme mit der Wasserableitung der zum Teil verschachtelten Dächer.

Empfehlen Sie doch aus den rund 60 Hase-Kirchen der Landeskirche bitte drei Kirchen, die man gesehen haben sollte. Welche wären das?

Albrecht: Lassen Sie mich fünf nennen, das zeigt die Breite seines Werkes besser. Da ist als Erstes die Christuskirche in Hannover, wie gesagt, der Luxuswagen unter den Hase-Kirchen. Dann die Dorfkirche in Wettmar (Burgwedel). Sie ist eine seiner ersten und noch im Rundbogenstil, nicht neugotisch. Dann ist da natürlich die große Kirche in Hagenburg am Steinhuder Meer. Eitzendorf (Hilgermissen) sticht heraus, weil Altar und Kanzel mit Steinen aus gebrannter Keramik gemauert sind. Deshalb stand ein Modell der Kirche sogar 1893 auf der Weltausstellung in Chicago. Ganz besonders außerdem Tripkau (Amt Neuhaus), eine seiner drei Fachwerkkirchen.

(Auszug aus dem Jahresbericht 2018 der Landeskirche Hannovers)

1848 baute Conrad Wilhelm Hase erstmals im Auftrag der Kirche – er war verantwortlich für die Renovierung des Klosters Loccum. Vorher hat er unter anderem für die Königlich Hannoversche Eisenbahndirektion gearbeitet, er ist auch für den Bau der Bahnhöfe Celle, Lehrte und Wunstorf verantwortlich. Hases Baustil war bei seinen Zeitgenossen nicht unumstritten. Er selbst blickte selbstbewusst auf sein Werk: „Wer bauen will an off’ner Straßen, muss Neider und Narren tadeln lassen. Und ob mein Haus Euch nicht gefällt, es kostet mein, nicht Euer Geld.“ Berühmt und betagt starb Hase 1902 in Hannover. Auf seinem Grabstein auf dem Engesohder Friedhof steht zu lesen: „Des Menschen Schaffen ruht in Gottes Hand“.